Karl Meusel - Schloss Oberellen bei Eisenach
(1912–1986)


Das Leben eines Menschen und Künstlers zu erfassen und zu beschreiben, es auch nur zu skizzieren, ist schwierig, vor allem dann, wenn man dieses Leben nur fragmentarisch kennen lernte, wie ich das von Karl Meusel. Aber seine Werke, sein Schaffen, können Auskunft darüber geben, was in seinem Inneren vorgegangen ist und wie seine Gedanken- und Gefühlswelt sich dem Betrachter erschließt und eine Vorstellung davon vermitteln, was er in Wirklichkeit darstellte.


Persönliches kennen lernen eines bedeutenden Künstlers

Gemeinsam mit – und durch – Kurt W. Streubel lernte ich Karl Meusel in Oberellen kennen. Er erschien mir zunächst als ein sehr verschlossener, in sich gekehrter Mensch. Sensibel in seiner Ausdrucksweise, mit einem Blick für – und in - die Psyche des anderen.
Nach diesem ersten Besuch nahm ich mir vor, ihn öfter aufzusuchen. Mich faszinierte sein „Atelier“ – wenn man das so nennen darf. Er wohnte im Schloss von Oberellen im ersten Stock und hatte einen Ausblick auf eine leicht gewellte Hügellandschaft, die man den „Sallmannshäuser Rennsteig“ – ein Seitenausläufer des Thüringer Rennsteiges - nennt.





Schloss Oberellen, Teilansicht Atelierfenster
(Privatfoto)



Er erklärte mir einmal, dass er von diesem Raum aus diagonal aus dem Fenster sehend in den Kosmos blicken könne. Die Landschaft in ihren verschiedenen Facetten und Stimmungsbildern sehend, intuitiv erfassend, dabei nicht naturalistisch, eher Impressionistisch geprägt, mit diesen Gedankengängen verbunden, erklären sich seine wunderschönen, sehr vielfarbigen malerischen Aquarelle.



   

Aquarell / Neo-Impressionistisch



In einem offenen Wandschrank lagen (und ich übertreibe nicht) tausende von diesen bemalten Blättern. Es sah aus wie ein Regenbogen, der sich über alle diese Bilder spannt.


Ein Ausspruch Karl Meusels von 1952 verstärkt diesen Eindruck:

„Etwas wunderbar Beruhigendes haftet den einfachen Kunstgebilden an. Ein für alle Mal gilt: ein Gefühl in Worte gegossen, ein Erlebnis wird zur Melodie und ein Anblick zum Bild.“
(Quelle: Karl Meusel, Nachlassverwalter: Erwin Meusel)


Nach Grundfarbtönen sortiert, konnte er sich – vor allem weil er vollkommen mittellos war – nur Schulmalhefte DIN A4 leisten. Das Billigste an Material, das man sich vorstellen kann und das doch einem begnadeten Künstler reichen musste, um zu malen und zu gestalten.
Scherzhafterweise sagte ich bei dieser Fülle an Bildern, er könne fast jedem Chinesen ein solch bemaltes Blatt in die Hand drücken.
Eine zweite Werkgruppe bestand aus Ölbildern, wobei ausschließlich Frauenköpfe in allen Farbnuancen dargestellt werden.
Hatte er ein besonderes Faible für Frauen?
Diese Frauenbilder erscheinen dem Betrachter madonnenhaft und sind alle von einer seltsamen, eigenen Schönheit geprägt, manche nur schemenhaft erkennbar.
Bei einem meiner Besuche lag er Zigarre rauchend auf einem Sofa in seinem Arbeitszimmer. Dort stand auch ein Klavier, und er sagte zu mir, ich solle ihm mal etwas vorspielen. Zu dieser Zeit kannte ich ihn schon besser, und so setzte ich mich ans Klavier, und da ich gut improvisieren kann, spielte ich ihm mit leisen, zarten Tönen kleine melodische, zweistimmige Einfälle vor, untersetzt mit temperierten Akkorden. Mit einem fast glücklichen, verinnerlichten Schmunzeln sagte er zu mir, dass ich ein sehr empfindsamer Mensch sei.
(Ein Kompliment immerhin.)



Die Suhler und ihr besonderes „Kunstverständnis“

In Suhl kannte man Meusel natürlich überhaupt nicht, und da ich einige Beziehungen zu unseren Kunstgaleristen hatte, schlug ich vor, einmal eine Ausstellung mit Werken Meusels zu riskieren.
Beim Aussuchen der auszustellenden Arbeiten erlebten wir zunächst ein Phänomen.
Im Foyer des Hauses der Philharmonie legten wir einige der Aquarelle auf den Boden, um auszuwählen, wie sie am besten farbig zusammengestellt werden könnten.
Beim Anblick dieser Arbeiten sagte ich, wenn wir eine Riesenwand hätten, dann müsste man hunderte von Arbeiten ohne Abstand zusammenfügen. Bei diesem Gedanken hatte ich den „Regenbogeneindruck“ seiner Atelierregale im Kopf.
Mit dieser Ausstellung erlebte ich übrigens ähnliches wie mit der Kunstausstellung von Streubels Arbeiten in unserer Privatwohnung, es gab einen Eklat ersten Ranges.


Wer schätzt was und wie ein?

Im Beisein von Karl Meusel diskutierten Besucher sowie der oberste Kulturfunktionär Suhls darüber, was für ein „Gekritzel“ das sei, mit diesen teils irrig gestrichelten und vermeintlich nichts aussagenden Graphiken.
Manche meinten, er oder sein Kind könne das auch „hinkritzeln“.
Da ich in unserer Wohnung einige solcher Graphiken hängen hatte und bei ähnlichen Diskussionen genau auch diese Meinung geäußert wurde, erlaubte ich mir, solchen „Künstlern“ ein Blatt A4 und einen Stift vorzulegen, und sagte dann:
„Dann zeichnen Sie mal los. Da können Sie zeigen, was Sie können, und sich beweisen.“
Natürlich kam niemals etwas zustande. Nach einigen Erläuterungen meinerseits wurde dann doch begriffen, dass Kunst etwas anderes ist als der Glaube ad hoc, etwas mit einem Stift auf einem Blatt Papier auszudrücken.


Dazu ein Zitat von Karl Meusel:

„Das Einfache in der Kunst scheint das Leichteste zu sein und ist doch das Schwerste.
Einfachheit ist eine Gabe – wer sie hat, kann sie verlieren oder bewahren, wer sie nicht hat, kann sie erarbeiten.
Unter den sinnlich-sittlichen Grundwerten ist das Einfache immer eine der ersten und eine der letzten – Kinder sind einfach und greise Menschen sind es wieder – auf den Stufen dazwischen verhüllt sich die Einfachheit gern den Strebenden.“ (1986)
(Quelle: Karl Meusel, Nachlassverwalter: Erwin Meusel)





Graphit / Lächelnder Mädchenkopf



Leider kann ich aus meiner Sicht wenig zu Meusels Leben beitragen, dazu war die Zeit unserer Bekanntschaft zu kurz und nicht vertieft genug.
Von Streubel weiß ich nur, dass er im Krieg in Norwegen war und danach in Dänemark die Gefangenschaft erlebte. Die Landschaften Dänemarks lagen ihm sehr am Herzen, was vor allem in den wunderschönen, manchmal sehr melancholisch anmutenden Landschaftsbildern zum Ausdruck kommt.


Hier möchte ich etwas aus dem wenig bekannten schriftlichen Nachlass von Karl Meusel einfügen:

„Ein Leben in Wohlergehen will ich nicht führen, sondern arbeiten. Nicht der Erfolg, die Arbeit an sich ist es, die mich reizt. –
Man kann einen Krieg nicht willkürlich lange führen, selbst wenn die Kräfte und das Material vorhanden wären. Es wird alles gewogen durch die Länge der Zeit.
Vieles verblasst, etliches bleibt bestehen, manches erscheint noch sinnvoll, vieles aber sinnlos!
Das dürfte eines Tages in allen Lagern erkannt werden. Sonst kann ich mir ein Ende des Krieges nicht vorstellen.
Die Fanatiker der Vernichtung, wie wir sie heut erleben, sind die Pioniere des Aufbaus gewesen. Ob aus den Trümmern die übrig bleiben, eine neue Kulturblüte ersteht, ist zu bezweifeln – es bleibt offen.“ (Januar 1945)
(Quelle: Karl Meusel, Nachlassverwalter: Erwin Meusel)


Nach dem Krieg gründete er gemeinsam mit Kurt W. Streubel u. a. die Gewerkschaft 17 in Thüringen (Gewerkschaft für Kunst, Schrifttum und freie Berufe).
1947 war er Jurymitglied der „1. Landes-Ausstellung Bildender Künstler Thüringens“ in Erfurt.


Gespräche über seine Kunst

Bei einem unserer Gespräche über die Farbnuancierung und die übereinstimmende Linienführung seiner wundervollen Aquarelle fragte ich ihn, warum er sie nicht signiere. Er meinte nur kurz, „einen Meusel“ erkenne man auch ohne Signatur. Betrachtet man diese, sich in der formalen Struktur ständig wechselnden Aquarelle, stellt jeder fest, dass sie von einer unnachahmbaren Handschrift gekennzeichnet sind.
Glücklicherweise besitze ich Arbeiten aus der frühen Zeit seines Schaffens, die mit dem vollen Namen signiert sind, spätere nur noch mit einem „M“ – und dann alle ohne eine Kennzeichnung.



   

Aquarelle / imaginär expressionistisch



Vom Tod Karl Meusels (29.Mai1986) erfuhr ich erst viel später. Mit ihm starb ein großer Meister, der in die moderne Kunst dieser Zeit eine völlig andere Nuancierung einbrachte und der zu den sensibelsten, Feininger nahe kommenden, Malern gehörte. Seine Aquarelle mit ihren verschwimmenden Konturen drücken in vollendeter Form ein Gefühl für Landschaft, Stimmung und Sinnempfindung aus. Dass er in späteren Jahren von Streubel eher als „Antipode“ empfunden wurde, erscheint folgerichtig. Einen größeren Gegensatz von Kunstauffassung und Abstraktion des Gestaltens als zwischen den beiden kann es kaum geben.
Bei aller Unterschiedlichkeit hatten sie aber eines gemeinsam: Beide, Karl Meusel ebenso wie Kurt W. Streubel, waren im offiziellen Kunstbetrieb der DDR nicht präsent.
Meusels Eigenständigkeit und die Eigenwilligkeit in der Gestaltung seiner Arbeiten machten ihn zum Außenseiter der Künstlerszene in der DDR. Die Formalismus- Realismus-Diskussion der 50er Jahre wurde so manchen DDR-Künstlern zum Verhängnis, die sich nicht dieser unsinnigen, meist ausdruckslosen Gestaltungsweise beugen wollten. Meusel besaß nicht diese politische Ausstrahlungskraft in seinen Arbeiten und in seinen Äußerungen wie Streubel. In seiner empfindsamen, feinnervigen Art der Zurückhaltung, der inneren Verschlossenheit – so, wie ich sie kennen lernte – sind sie eher auf persönliche Erlebnisse oder Ereignisse zurückzuführen. Die differenzierte Ausdrucksweise seiner Graphiken, Aquarelle und Ölgemälde ist dennoch der Beweis für die Kunst eines Andersdenkenden. Eine Kunst, die außerhalb der „Staatsräson“ steht und für welche die Ausübenden büßen mussten. Sie fanden keine Anerkennung und Würdigung für ihr geniales Schaffen.